Neue Energie für alte Gebäude
Bauen, nutzen, abreissen: Gebäude sind für 40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses verantwortlich. Alina Galimshina und Flurina Gradin vom Forschungsprojekt „Renovating buildings, yes! But how?“ wissen, wie umweltverträgliches und effizientes Renovieren geht – und wollen davon jetzt die Branche überzeugen.
Tessa Apitz: Was ist das Ziel eures Projekts?
Flurina Gradin: Das Projekt knüpft an die Ergebnisse eines vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützten Forschungsprojekts an, in dessen Rahmen ermittelt wurde, wie Gebäude robust, kosteneffizient und klimafreundlich saniert werden können. Mit dem aktuellen Projekt wollen wir diese Ergebnisse bei den wichtigen Akteur:innen des Sektors verbreiten. Das sind Architekt:innen und Ingenieur:innen, Organisationen wie der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein, der Verein Minergie, das Bundesamt für Energie und die Stadt Zürich. Die Entscheidungsträger:innen sollen verstehen: Wir brauchen einen Wandel hin zu kohlenstoffarmen und klimasicheren Schweizer Gebäuden.
Welches sind eure wichtigsten Erkenntnisse und wie könnten konkrete Lösungen aussehen?
Alina Galimshina: Die aktuelle und übliche Renovierungspraxis ist weder optimal noch robust noch kosteneffizient und klimafreundlich. Die Heizungsanlage ist dabei der einflussreichste Parameter und muss als Erstes berücksichtigt werden. Um Gebäude vor der immer akuter werdenden Überhitzung in den Sommermonaten zu schützen, reichen ausserdem sehr viel geringere Mengen an konventionellem Dämmmaterial, als aktuell verwendet werden. Bei biobasierten Materialien ist das anders, hier braucht es dafür die grösstmögliche Menge an Dämmmaterial. Die Materialien haben aber eine gute CO2-Bilanz und wirken sich positiv auf den Innenraumkomfort aus. Es sind also drei Schritte nötig, um Kohlenstoffemissionen zu reduzieren. Erstens: Energiesparen durch individuelle Massnahmen, zweitens: Ersatz von fossilen Energieträgern durch kohlenstoffarme Alternativen, und drittens: Wärmedämmung mit biobasierten Materialien.
Welches ist die grösste Herausforderung bei eurem Vorhaben?
Flurina Gradin: Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein Umdenken nötig ist. Welche Lösungen für die Gebäudesanierung ausgewählt werden, hat massive Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Umwelt und den Innenraumkomfort von Schweizer Gebäuden. Das Thema ist komplex, da mehrere Methoden kombiniert werden und viele Interessengruppen beteiligt sind. Die grösste Herausforderung des Projekts ist, die Ergebnisse unserer Arbeit den Akteur:innen in der Bauindustrie auf klare und umfassende Weise zu vermitteln und sie so zu einer kohlenstoffarmen Gebäudesanierung zu bewegen. Wir werden für die verschiedenen Stakeholder spezifische Diskussions und Interaktionsplattformen entwickeln. Um erfolgreich zu sein, muss die Kernbotschaft zum Vorwissen und zu den Interessen der Zielgruppen passen und natürlich zur Art der Massnahmen, die getroffen werden können.
Alina, du arbeitest an der Professur für Nachhaltiges Bauen der ETH – welche Rolle spielst du im Projekt?
Alina Galimshina: Für das Forschungsprojekt haben wir die Parameter identifiziert, welche die Umweltauswirkungen und die wirtschaftlichen Kosten beeinflussen. Das sind zum einen die Entscheidungen, die der oder die Planer:in in Bezug auf die Gebäudesanierung trifft. Zum anderen Parameter, die potenziell grosse umweltrelevante Auswirkungen haben, aber von Planer:innen nicht beeinflusst werden können. Also soziale und wirtschaftliche Faktoren wie das Klima, das menschliche Verhalten und die künftige Entwicklung der Energiekosten. Auch wie ein Gebäude genutzt wird, hat grossen Einfluss auf seine Gesamtumweltbelastung.
Flurina, welche Rolle spielt das Design in diesem Projekt?
Flurina Gradin: Mich motiviert die Zusammenarbeit in diesem transdisziplinären Team. Die Herausforderungen der Gegenwart können nur durch solche Kollaborationen angepackt werden. Design kann auf verschiedene Weise zum Gelingen des Projekts beitragen: auf Ebene der Vermittlung, in Form von Co-Design-Prozessen oder der Evaluierung von relevanten Schwerpunkten und deren Versinnlichung oder Ästhetisierung. Im Bausektor geht es oft um Geld, Fakten und Zahlen. Das bietet Entscheidungssicherheit. Es wird jedoch vernachlässigt, dass die Debatte um energieeffizientes Bauen auch stark kulturell bedingte Aspekte beinhaltet. Dass visionäre oder experimentelle Ansätze und Zielbilder zu einem Paradigmenwechsel führen könnten. Die politische Meinungsbildung wird erst über Erfahrungen und Austausch möglich. In all diesen Feldern spielt Design eine relevante Rolle.
Flurina Gradin lehrt im Bachelor Design und forscht am Institut für Designforschung der ZHdK. Sie ist Designerin und Fachfrau für Siedlungsökologie.
Dr. Alina Galimshina arbeitet an der Professur für Nachhaltiges Bauen im Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich.